China ist auf dem Weg, ein mächtiger Player bei der Herstellung von Elektrofahrzeugen (EV) und in diesem Zusammenhang Exportweltmeister zu werden. Dabei offenbart ein genauerer Blick, dass die Schaffung einer EV-Wertschöpfungskette, der Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie die Anreize für den Verbrauch sorgfältig von der chinesischen Regierung geplant wurden. So hat der Staatsrat Chinas seinen „Entwicklungsplan für die Industrie der neuen Energiefahrzeuge 2021-2035“ veröffentlicht, und die Society of Automotive Engineers (SAE) Chinas stellte im Oktober 2020 ihre „China Technology Roadmap for Energy Savings and New Energy Vehicles 2.0“ vor.
Beide Pläne setzen Ziele und Maßnahmen für die Einführung von NEVs (Fahrzeuge mit neuer Energie) und Intelligent Connected Vehicles (ICVs) in China bis 2035. Insbesondere investiert China in die Entwicklung der EV-Wertschöpfungskette, den Ausbau der Ladeinfrastruktur und setzt Anreize für die Entwicklung und den Kauf von EVs.
Läuft alles nach Plan, sollen bis zum Jahr 2035 reine Elektrofahrzeuge den dominanten Antrieb in China darstellen. EVs machen dann 95% der NEVs aus, und auch Brennstoffzellenfahrzeuge (FCVs) werden eine bedeutende Rolle spielen. Geplant ist, dass der Verkauf von EVs bis 2025 20% aller Autoverkäufe ausmacht, bis 2030 40% und bis 2035 50%.
Schon im Jahr 2023 haben EV-Verkäufe 30% erreicht – was diesen ehrgeizigen Plan sogar übertrifft. Das globale Ziel ist dabei, international wettbewerbsfähige chinesische Akteure, Technologien und Marken zu etablieren.
In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu verstehen, dass jede neue Technologie zunächst mehrere Stadien durchläuft, bis es zur Mainstream-Markteinführung kommt: Vor allem Tesla und agile chinesische Start-ups ziehen die sogenannten „early adopters“ mit einer neuen futuristisch anmutenden Nutzererfahrung an. Diese ersten Kunden sind häufig dazu bereit, die Mängel einer unreifen Technologie zu akzeptieren und sogar einen Aufpreis zu zahlen, um sich selbst als Visionäre zu verstehen.
Aus diesem Grund sehen wir bereits seit mehreren Jahren einige EVs auf unseren Straßen. Die Mehrheit der Kunden ist jedoch pragmatisch und eher konservativ: Sie werden erst dann zu EVs wechseln, wenn alle praktischen Hürden überwunden sind.
Der US-amerikanische Unternehmensstratege Geoffrey Moore nannte dies übrigens das „Überqueren des Abgrunds“ (Chasm) von der frühen hin zur Mainstream-Markteinführung.
Diese hohe Hürde ist der Grund, warum EVs heute bisher nur einen kleinen Prozentsatz der Autoverkäufe ausmachen. Sobald jedoch alle Schlüsselhürden überwunden sind und damit „der Abgrund überquert ist“, wird die Mehrheit des Marktes rasch zugunsten der neuen Technologie der EVs kippen.
China erlebt derzeit bereits einen hohen Aufschwung im Hinblick auf EVs. Die Ladeinfrastruktur in städtischen Gebieten ist vorhanden, Elektrofahrzeuge sind im Jahr 2023 kostengünstig geworden, und in den letzten beiden Jahren wurden zahlreiche Modelle von EVs eingeführt.
Eine schwache Wirtschaft und Überkapazitäten senken zudem die Preise und treiben die breite Übernahme von EVs und Exporte an. In China ansässige Marken erreichen erstmals seit der Öffnung des Automobilmarktes vor 40 Jahren einen Mehrheitsanteil von 53% am Verkauf im ersten Halbjahr 2023. Japanische Wettbewerber leiden dabei am meisten, ihr Marktanteil ist von 20% im Jahr 2022 auf 15% im ersten Halbjahr 2023 gesunken.
Überkapazität treibt China dazu, 2023 zum globalen Exportmeister zu werden
Bereits im Jahr 2022 hat China Deutschland als zweitgrößten Exporteur überholt und ist auf dem Weg, auch Japan als größten Exporteur zu überholen. Chinas Fahrzeugexporte sind im Januar bis Mai 2023 im Jahresvergleich um 80% auf 1,9 Millionen Fahrzeuge gestiegen. Die drei wichtigsten Exportziele waren Russland, Mexiko und Belgien, wobei Belgien ein Eingangstor zum europäischen Markt ist. Die wichtigsten Exportziele für EVs waren Belgien, das Vereinigte Königreich und Thailand.
Die vorhandene Überkapazität und eine schwache Nachfrage treiben Chinas Exporte als „Druckventil“ in diesem Druckmarkt an. Die meisten Exporte sind immer noch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Es ist allerdings aufgrund des Kostenvorteils der EV-Wertschöpfungskette in China und wettbewerbsfähiger Produkte mit einem weiteren signifikanten Wachstum der Exporte von EVs zu rechnen.
Als ein Beispiel für den hohen preislichen Wettbewerb kann das Modell ID3 von VW genannt werden: Während er derzeit in der EU für etwa 35.000 Euro verkauft wird, kostet er in China gerade einmal 15.000 Euro – ein eindeutiges Zeichen für die höhere Wettbewerbsfähigkeit des chinesischen EV-Marktes.
Die Erschwinglichkeit von EV-Modellen treibt als Konsequenz die Akzeptanz von EVs und damit die NEV-Verkäufe zu neuen Rekorden. Die Preissenkungen auf dem Markt führen zu attraktiven Angeboten.
Darüber hinaus haben chinesische Regulierungsbehörden 2023 die Befreiung von der Kaufsteuer verlängert. Dies führte unter anderem dazu, dass Unternehmen attraktive EV-Modelle zu erschwinglicheren Preisen als je zuvor eingeführt haben. Das Modell BYD Seagull etwa bietet ein kleines, aber voll funktionsfähiges Auto für nur rund 10 000 Euro an und füllt damit eine Lücke in diesem Niedrigpreissegment, die internationale Autohersteller heute nicht ausfüllen können.
Die Marktführer bauen in diesem Zusammenhang auf zwei Erfolgsfaktoren: Sie machen EVs erschwinglich und bieten den Verbrauchern gleichzeitig eine futuristische Nutzererfahrung. Was auch immer Sie sich für die zukünftige Mobilität vorstellen mögen – die starke Verbrauchergruppe der jüngeren Chinesen erwartet diese Technologie bereits heute in ihren Autos, inklusive nahtlose Integration in das Leben von Digital Natives und fortschrittliches automatisiertes Fahren.
Die Automobilhersteller haben dies erkannt und starten kühne Initiativen, um neue Verbrauchererwartungen einzuholen. Der Hersteller Geely etwa hat Mobiltelefone des Unternehmens Meizu erworben, und auch NIO hat angekündigt, Mobiltelefone unter der eigenen Marke anzubieten.
Die Wettbewerber müssen also reagieren: Toyota etwa wird seinen Produktentwurfsprozess ändern, um Hardware-Produktiterationen während des Produktlebenszyklus zu ermöglichen, wie zum Beispiel die Aufrüstung von Sensoren für automatisiertes Fahren nach dem Verkauf eines Autos.
Auch die Volkswagen-Gruppe hat mehrere Investitionen und Zusammenarbeiten mit chinesischen Automobilherstellern angekündigt, um sich durch ihre Strategie „In China, for China“ auf den chinesischen Markt zu konzentrieren. Audi wird die IMMotor-Plattform von SAIC lizenzieren, und VW wird die Plattform von Xpeng lizenzieren, um die Zeit zu überbrücken, bis die eigene Plattform einsatzbereit ist.
Die kommenden Jahre werden also viele Veränderungen im Markt sehen, die in einer rasanten Geschwindigkeit vorangetrieben werden. Und hier sollten gerade auch die deutschen Hersteller frei nach Geoffrey Moore agieren: „Hab keine Angst, einen großen Schritt zu machen. Du kannst keinen Abgrund in zwei kleinen Sprüngen überqueren.“ Los geht’s!
Christoph Weber is General Manager of AutoForm in China – all major carmakers use AutoForm’s engineering software. He is certified Scaled Agile Framework® 5 Program Consultant and helps automakers speed up start of production through digital transformation in car body engineering and manufacturing. Christoph is the Automotive Industry Workshop Leader at the German Chamber of Commerce in Shanghai. He is committee member at CATARC and founding member of the International Coalition of Intelligent Manufacturing in order to promote best practices in China and beyond.
Find Christoph Weber on LinkedIn.